Was nach der analogen Revolution geschah

Was nach der analogen Revolution geschah – Leseprobe

Eine Endzeit-Dystopie, eine Tour de Force durch Literatur und Kultur mit vielen unliebsamen Typen und sprachlichen Eigenheiten: Der Roman (170 Seiten, Softcover) kann bei mir für 14 Euro bestellt werden. Im April 2024 erschien die zweite Auflage. Unten finden Sie eine Leseprobe. Bestellen per E-Mail an petersen(at)j-c-p.eu oder über das Bestellformular.

Inhalt: Das Buch handelt von einem Antihelden namens Dr. Achim Strehlitz. Der muss, um seine Beziehung zu retten, das Lebenswerk eines Schundromanschreibers in das Literaturarchiv seiner Akademie aufnehmen. Dabei ist er auf ein vordigitales Zeitalter und auf den Stumpfsinn einer nunmehr von der Kultur abgeschnittenen Bevölkerung zurückgeworfen.

Kurzauszug: „Das Ende“, erkläre ich, „hatte man sich immer ganz anders vorgestellt. Klimawandel, Weltkrieg, nukleare Katastrophe oder was dergleichen – eine Apokalypse eben wie sie im Buche steht, etwas Großes halt.“ Ich blase einen Kringel Rauch ins Separee, der sogleich verfliegt. Sie sucht noch immer zwischen den Klamotten, die am Boden liegen. „Aber dann“, führ ich weiter aus, „was war das für ein lächerlicher Vorgang: ein Anachronismus. Wir sind buchstäblich aus der Zeit gefallen, meine Liebe. Buchstäblich sind wir aus der Zeit herausgefallen. Und das ist alles nur passiert, weil man meinte, die Weltzeit wieder mit der Ekliptik abgleichen zu müssen, und zwar durch das Hochladen einer einzigen Schaltsekunde – eine einzige Schaltsekunde in das Internet und in alle Rechner dieser Welt.“

Kleine Leseprobe – Kapitel 1 (Auszug)

„Strehlitz heiß ich, Achim Strehlitz“, brülle ich in ihr Gesicht. Ich glaub ja nicht mal, dass sie das wirklich wissen will, doch sie hatte mich gefragt. Die Bigband schmettert Jazz, epileptisch geradezu. Ein Jitterbug und alles fliegt. Sie schreit irgendwas. Ich gröl zurück: „Du bist doch sicherlich noch keine 18!“

„Im Pass steht’s aber anders“, lügt sie. Saxophone tremolieren, schrillen. Was mach ich nur? Was mach ich nur? – Alkohol und Zigaretten tun ihr Übriges, während ich versuch, dagegen anzudenken. Nach außen rausch ich wie die anderen. Gestanztes Licht. „Guck mal“, rufe ich ihr zu, „da oben sitzen sicher zehn bis zwölf Beleuchter.“ Sie tanzt. Ich deute ins Gestänge über dem Parkett: „Die haben sogar einen, der stroboskopisch die Lamellen vor ’nem Fackelkasten klappt – oder ob das noch elektrisch is‘ ?“

Wie lächerlich. Ich könnte ja ihr Vater sein. (Interessieren tut sie das alles nicht.) Und dann fang ich ausgerechnet von der Epoche an, die sie wahrscheinlich nur noch aus Geschichten kennt. Strom ist ja buchstäblich so was von out. Die manuelle Beherrschung der Beleuchtung gleicht da einem Kunstwerk, aber Verständnis hat sie dafür nicht. Eine Partitur der Lichter: jede Lampe wie ein Instrument in handwerklich perfekter Choreographie. Sie ist halt damit aufgewachsen, schätzt in der Gewohnheit nicht, was es bedeutet, einen solchen Aufwand zu betreiben. Dabei müsste sie es wissen – grade sie bei ihrem Job.

Gut sechzig Körper zappeln im akustischen Vier-Fünftel. Was wir ‚tanzen‘ nennen, treibt mich an den Rand vom Holzparkett. Sie nimmt das als Offerte wahr. Ja, offensichtlich meint sie, dass dies das Zeichen sei, sich nun in einen der Privatbereiche zu verdrücken. Sie folgt mir auf dem Fuße – langsam, denn um uns stürzt die Menschenwand. Und vor mir in dem Schummerleuchten, das von den Tischen in den Barraum glimmt, steht Neupert – ausgerechnet Neupert. Die Kerzen flackern ihm in sein Gesicht, beschneiden die Konturen seiner dicklichen Gestalt. Er brüllt mich an, ich solle „so einen!“ trinken, dabei schnippt er mit dem Finger an sein Cocktailglas. Die Kollegen haben ihn nur deshalb mitgenommen, weil er das System entwickelt hat, das sie benutzt haben, um diskret zu dem Event hier einzuladen. Simpel, dennoch nicht genial. Es hatte damals alles damit angefangen, dass Neupert eine Nachricht auf dem Schreibtisch eines Mitarbeiters hinterlassen hat. Belangloses selbstverständlich. Zwei Wochen später hatten sie dann alle kleine Zettelkästen auf den Tischen. Wie praktisch das doch sei. Dabei dient inzwischen nur noch jede zehnte Nachricht auch der Arbeit. Die Übrigen behandeln Nonsens und Gelaber, woraus auch die Idee zu diesem ‚Ausflug‘ hier nach Amsterdam entstanden ist.

Neupert hebt sein Glas noch höher, deutet mit gespitztem Finger auf dasselbe, während er mit seinem Mund dazu gebärdisch stumm die Worte mimt. Ich schaue weg, tue so, als ob ich ihn nicht seh, und dreh mich auf dem Absatz um. Da steht sie wieder vor mir (sehr viel nackte Haut) und hinter ihr die Biomasse, die sich in den Soundbrei rührt. „Weißt du“, brülle ich, „privat bin ich ja ganz anders.“

„Aha.“ Interessieren tut sie das noch immer nicht. Und ich mach mich wieder lächerlich, denn privater als an diesem Ort kann man wohl kaum sein. Ich lächel, tanze. Mein ganzer Körper lügt. Ich muss, wenn ich den Kollegen gegenüber nicht verdächtig scheinen will. Letztlich haben wir eine Komplizenschaft zu teilen, was die Verwendung jener Mittel betrifft, welche die Akademie hier in unsere Weiterbildung investiert. „Meine Abteilung“, versuche ich es mit der Wahrheit, „keilt den gesamten Achilleus Tatios in Ton!“ Da macht sie große Augen. „Jedenfalls beeindruckt man wieder mit Schrift, wa‘ !?“, füg ich noch hinzu. Und dann wird mir wieder klar, wie jung sie ist. Sie strahlt: „Komm, ich zeig dir was!“

„Nee, nee!“, krakele ich. Nun macht sie sich aber lächerlich. Sie glaubt doch nicht grad ernsthaft, dass ich derart leicht zu haben bin. Vielleicht doch, denn Neupert macht die Runde, bewegt sich um das Tanzparkett. – Dass zumindest Teile der Akademieleitung wissen, was hier vor sich geht, ist nicht zu leugnen. Indem man uns im Anruch des moralisch Zwiespältigen gewähren lässt, erhofft man sich eine Stärkung der kollegialen Bindung. Aber ich und Neupert? „Sorry, Kumpel!“, rufe ich ihm über ein paar Köpfe hinweg zu, „ich hab hier grad zu tun!“ Er guckt, und zwar nicht nur aus der Wäsche, sondern auch auf sie. Sie schreitet ganz grazil voran, was Neuperts plumper Fantasie den Anreiz gibt … – Ich will gar nicht wissen, was er denkt! Messingblitze schießen aus swingenden Fragezeichen. Ich schiebe mich aus dem Tanzpulk heraus, folge ihr nun doch ins Separee.

Wir atmen – und dann immer schneller: !¡!¡! !!! „Bleib mal noch“, sagt sie, „du hast doch auch keinen Bock da wieder raus.“ Und sie fände mich tatsächlich nett. „Wie heißt du eigentlich?“, will ich von ihr wissen.

„Tiffi!“, sagt sie. Dann steht sie auf, fängt an, zu suchen – nackt. Dito meine Kippen. (Dabei schulter ich jedoch die Decke.) „Darf ich eigentlich hier drinnen rauchen?“

„Mach das Fenster aber dann auf kipp, ja.“ Ich mach, lass den Vorhang aber zu. Sie kramt: „Weiß du“, sagt sie, „meine Chefin holt Erkundigungen ein, wenn eine Gruppe unser Haus im Ganzen bucht.“ Ich qualme in den lindigen Geruch, der aus ihren Laken dampft. „Heißt das“, sage ich, „du kennst Achilleus Tatios?“

„Nicht direkt“, sagt sie. (Das hab ich mir gedacht.)

„Aber“, wirft sie ein, „du schreibst doch über den, nicht wahr?“

„Ich bin Kopist. Ich schreibe ab. Das ist was anderes.“

„Meine Mutter“, sagt sie, „hat mir jedenfalls noch beigebracht, wie man dazu einen Stift benutzt.“

„Also wir machen das ja mit Griffeln und in Ton“, erkläre ich, „der wird dann gebrannt. Das hält im Übrigen auch viel länger als Papier. Vom Digitalzeitalter will ich gar nicht reden, aber das hast du zum Glück ja nicht mehr miterlebt.“ Ich zieh am rotknospigen Stängel. Septakkorde wabern durch das Separee. „In der Grundschule“, sagt sie, „hat man uns nur Blockschrift beigebracht.“ (Aha! Also kann sie höchstens 17 sein. Wäre sie älter, hätte sie es noch gelernt: „Schreiben“, sage ich, „kann gar nicht überschätzt werden, seit der digitale Reizfluss abgerissen ist. Ich bin damals ja tatsächlich aufgeblieben“, sage ich, „weil ich miterleben wollte, wie die Schaltsekunde in die Rechner dieser Welt geladen wird.“ Sie sucht in ihrem Schrank. „Das Ende“, erkläre ich, „hatte man sich immer ganz anders vorgestellt. Klimawandel, Weltkrieg, nukleare Katastrophe oder was dergleichen – eine Apokalypse eben wie sie im Buche steht, etwas Großes halt.“ Ich blase einen Kringel Rauch ins Separee, der sogleich verfliegt. Sie sucht noch immer zwischen den Klamotten, die am Boden liegen. „Aber dann“, führ ich weiter aus, „was war das für ein lächerlicher Vorgang: ein Anachronismus. Wir sind buchstäblich aus der Zeit gefallen, meine Liebe. Buchstäblich sind wir aus der Zeit herausgefallen. Und das ist alles nur passiert, weil man meinte, die Weltzeit wieder mit der Ekliptik abgleichen zu müssen, und zwar durch das Hochladen einer einzigen Schaltsekunde – eine einzige Schaltsekunde in das Internet und in alle Rechner dieser Welt.“ Ich nehme einen tiefen Zug: „Das wäre etwas für Stefan Zweig gewesen. Seine ‚Sternstunden der Menschheit‘ meine ich“, und füge gleich hinzu: „Ja, als wenn der Verlust von fünf, sechs Sekunden alle hundert Jahre nicht verkraftbar wäre. Mit der Erde läufts nun mal nicht rund. Das is‘ ein Fakt.“

„Ich habe das ja auch nie verstanden“, sagt sie und kramt inzwischen durch den Inhalt ihrer Schultertasche, die hinters Bett gefallen war: „Ich find es nicht.“

„Man muss es nur begreifen“, sage ich, „diesen unglaublichen Fehler. Die haben damals alles mit Atomuhren gemessen“, erkläre ich, „und alles – wirklich alles hing am Internet.“

„Am was?“

„Ach, das kennst du ja gar nicht mehr. Nicht wahr? – Nun ja. Das war schon damals völlig überschätzt. Pornofilme. Darum ging’s. Du kannst froh sein, dass das weg ist, sonst wäre euer Laden hier nicht derart gut besucht.“ Ich kriege nicht mit, dass sie bei diesem Satz zusammenzuckt. „Auch bei uns an der Akademie herrscht ja praktisch wieder Vollbeschäftigung. Hochkultur ist schließlich auch ein Handwerk. – Hast du irgendwas für Asche?“


Hinweie zum Urheberrecht: Das Buch von Jan-Christian Petersen „Was nach der analogen Revolution geschah“ erscheint nur gedruckt. Der hier gegebene Buchauszug erscheint nur hier auf www.j-c-p.eu. Vervielfältigungen – insbesondere Digitalisierungen und eine Verbreitung der Inhalte (auch auszugsweise) in gedruckter, sprachlich vertonter, digitaler oder in anderen Formen – sind nicht zulässig.