Die Gesamtheit der kolonialen Verantwortung begreifen

Zum 138. Jahrestag der Kongokonferenz, auf der die Europäer einst Afrika unter sich aufteilten, fordert ein schwarzafrikanisches Bündnis in Berlin, ein Mahnmal zu errichten.

25. Februar 2023. Der Gedenkmarsch ist organisiert von der African Black Community in Berlin, die sich unter anderem in dem Verein Dekoloniale e.V. organisiert

Es ist kalt. In den Pfützen, die der geschmolzene Hagel zurückgelassen hat, spiegeln sich die Transparente und Banner. An diesem 25. Februar begleite ich die African Black Community (ABC) in Berlin auf einem Gedenkmarsch, dessen Anliegen in einem einzigen kiswahelischen Wort zum Ausdruck kommt: Maafa. Das meint „die große Zerstörung“; denn von dem, was die Europäer seit Beginn der Kolonialisierung in Afrika angerichtet haben, machen wir uns keinen eigenen umfassenden Begriff. Zu vielschichtig ist die europäische Verantwortung, die aus dem kolonialen Erbe erwächst. Dabei wirkt die Ausbeutung auch teils unter neuen technischen Bedingungen und angesichts ökologischer Herausforderungen nach oder noch immer fort.

Auch Kinder erfahren auf dem Gedenkmarsch etwas von jener Geschichte, die an deutschen Schulen oft viel zu unspezifisch aus Perspektive der ehemaligen Kolonialmächte gelehrt wird

„Es ist kein Zufall, wie Arbeit auf dem Globus verteilt ist“, erklärt dazu der Politikwissenschaftler Joshua Kwesi Aikins. Während der ABC-Kundgebung vor rund 50 Anwesenden schildert er, wie Facebook seine Content-Moderation in englischsprachige afrikanische Länder auslagert. Möglich mache dies die koloniale Vorgeschichte. Hier fänden sich billige Arbeitskräfte, die des Englischen mächtig sind. Gleichzeitig erhielten die Mitarbeiter, die dann millionenfach Hass- und Gewaltinhalte aus sozialen Netzen filterten, keine entsprechende psychologische Betreuung. Dabei seien sie es, die den neuen künstlichen Intelligenzen beibrächten, was guter und was schlechter Inhalt ist.

Joshua Kwesi Aikins bezieht sich in seinem Facebook-Redeteil auch auf einen Fall aus Kenia, der jüngst im britischen Guardian erschienen ist. Aikins ist u. a. in der Initiative schwarzer Menschen in Deutschland aktiv.

Als der Demonstrationszug vor dem Berliner Humboldt-Forum zum Stehen kommt, erinnert Aikins an ein Dauerthema der postkolonialen Aufarbeitung. „Im Humboldt-Forum lagern Hunderttausende von afrikanischen Artefakten, die in einem Gewaltkontext erlangt wurden.“ Aikins fordert, bei der Klärung der Besitzverhältnisse denselben Willen an den Tag zu legen, wie es im Umgang mit NS-Raubkunst bereits erfolge.

Dieselbe Forderung erhebt auch der Aktivist Mnyaka Surru Mboro. Tansania und andere afrikanische Länder hofften teils seit 100 Jahren auf die Rückgabe von Kulturgütern, aber auch auf die Rückführung menschlicher Gebeine. „Es geht um unsere Ahnen“, so Mboro. Er und Aikins nehmen die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in direkte Verantwortung.

Mnyaka Surru Mboro stammt aus Tansania. Er engagiert sich bei Postkolonial e.V. Hier ist er am Beginn des Gedenkmarsches in der Wilhelmstraße 92 zu sehen – in der Nähe des Ortes, an dem 1885 die Berliner Kongokonferenz zu Ende ging.

Die panafrikanische Frauenrechtlerin Marianne Ballé Moudoumbou verweist auf die Rolle der katholischen Kirche bei der Ausbeutung Afrikas. „Es gibt Päpste, die Sklaven in großem Ausmaß gehalten haben.“ Sie bittet die heutigen Bischöfe, dafür Verantwortung zu übernehmen. In einer anderen Rede verweist sie auf genozidale Verbrechen an der kongolesischen Bevölkerung, die ohne die katholische Kirche so nicht möglich gewesen seien.

Kahbit Ebob-Enow (links) engagiert sich im Tubman Network für schwarze Geflüchtete. Marianne Ballé Moudoumbou (rechts) ist Sprecherin der panafrikanischen Frauenorganisation PAWLO-Masoso e.V.

Moudoumbou und die anderen Aktivisten wollen alle Opfergruppen in den Blick nehmen, die unter den vielfältigen Formen von Ausbeutung leiden und gelitten haben. Während dieses 17. Gedenkmarsches kommt mehr zur Sprache, als sich hier abbilden lässt. Auch deshalb setzt sich die schwarzafrikanische Gemeinde für ein Denkmal ein, in dem symbolisch all das sichtbar werden soll, vor dem die weiße Mehrheitsgesellschaft noch immer die Augen verschließt.

Mbolo M. Yufanyi
Der Familienvater Mbolo M. Yufanyi engagiert sich im PEACE-Netzwerk, um schwarzafrikanische Gemeinschaften zu stärken. Hier ist er bei einer Kranzniederlegung am Beginn des Marsches zu sehen.

Mbolo M. Yufanyi trägt den Gedanken für die Errichtung eines afrikanischen Denkmals mit. Doch gegen Ende der heutigen Veranstaltung zeigt er sich auch enttäuscht darüber, dass „zu wenig Schwestern und Brüder“ an dem Gedenkmarsch teilgenommen haben. „Wenn es zu Übergriffen kommt, ist das Geschrei wieder groß. Deshalb ist es wichtig, dass die Leute jetzt ihre Stimme erheben. Wir müssen zusammenkommen. Wir haben so viele Netzwerke.“

(c) Fotos und Texte: Jan-Christian Petersen